In Online-Foren, Seminaren oder Bibliotheksregalen – Ratgeber zu Benimmregeln im Büro sind omnipräsent. Warum? Weil der Alltag unter Kollegen nicht immer selbsterklärend ist. Ist die Kollegin, mit der Sie sich den Schreibtisch teilen, die Monika oder die Frau Meyer? Und wie verhält sich das eigentlich mit Ihrem Chef? Du oder Sie? Wir geben einige hilfreiche Antworten:
Welche Vor- und Nachteile hat das DU im Büro?
Nicht umsonst präferieren viele Kolleginnen die ungezwungenere Form: Das DU zeigt Nähe und Vertrautheit. Vor allem Personen gleichen Alters und gleicher Hierarchiestufe führt der direktere Ton zu guten, persönlichen Arbeitsbeziehungen, in denen man eben gern und damit besser arbeitet. Die leichte Ansprache schafft eine vertrauensvolle Atmosphäre. Hemmungen, eigene Schwächen zuzugeben, werden schneller abgebaut. Auch fällt es leichter, die imaginäre Grenze an der Bürotür zu überspringen – beispielsweise um bei unerwarteter Mehrarbeit um Unterstützung zu erbitten. Allerdings werden im Gegenzug unter Du-Kollegen auch gerne kleinere Nachlässigkeiten runter- oder ein Konflikt überspielt.
Da ist das SIE im Büro schon vorteilhaft. Jeder weiß, woran er ist, behält Diskretion und eine gewisse professionelle Distanz. Ein respektvoller Umgang wird gewahrt. Was natürlich nicht heißt, dass man sich nicht mag oder gar ablehnt. Auch ein Vorteil: Man hält sich Kolleginnen auf Abstand, die sehr schnell das DU suchen und sich indiskret verhalten.
Wer bietet wem das DU an?
Im Privatleben ist das schnell erklärt. Hier gilt: Alter vor Geschlecht! Ältere Generationen können wählen, ob sie Jüngere duzen möchten. Ebenso haben Frauen in der Regel den Vortritt.
In der Kanzlei ist - wie in vielen Berufen - der Rang im Unternehmen das ausschlaggebende Kriterium. Stehen Sie auf derselben Sprosse der Karriereleiter, so geht das DU wiederum von der Frau oder dem Dienstälteren aus.
Interessanter wird es bei einem Jobwechsel oder einem Quereinstieg in eine neue Branche: Ratsam ist, zunächst mit dem SIE zu beginnen und ausgiebig zu beobachten, wie es Ihre neuen Kollegen mit der Anrede halten. Oder fragen Sie doch an Ihrem ersten Tag einfach charmant nach, wie denn der allgemeine Tenor ist.
Wie biete ich das Du an?
Wer jemandem das DU vorschlägt, der sollte dies unter vier Augen in einem ruhigen, keinesfalls drängenden Tonfall machen und dem Gesprächspartner stets ein Hintertürchen offen lassen. So entgeht man Peinlichkeiten und ist gewappnet, falls das Gegenüber vom zukünftigen Duzen eher absehen möchte. Vielleicht so:
„Wir kennen uns nun schon lange. Ich hätte nichts dagegen wenn wir uns Duzen. Wenn Sie das nicht wollen, ist das für mich in Ordnung. Ich bin davon überzeugt, dass wir weiterhin gut zusammenarbeiten."
Kann man ein Du ablehnen?
Kurzum: ja! Wer sich etwa zum jeweiligen Zeitpunkt mit der Frage überrumpelt sieht, generell ein ungutes Gefühl oder gute erklärbare Gründe hat, der darf auch mal Nein zum DU sagen.
Ein banales „Ich möchte das nicht" reicht dann aber nicht aus. Beweisen Sie Fingerspitzengefühl und formulieren Sie die Absage in einem freundlichen, unter keinen Umständen verletzenden Ton – am besten unter vier Augen. Keine leichte Aufgabe! Aber Sie werden sehen – wenn Sie eine Begründung mitliefern, ist es nur halb so schlimm.
„Ich freue mich über Ihr Vertrauen und dass Sie mir das DU anbieten. Ich fürchte aber, ich hätte es später schwerer, einige Kolleginnen zu duzen und einige zu siezen und möchte gerne beim SIE bleiben."
Kann man ein DU zurücknehmen?
Zum SIE zurück zu gelangen ist zwar heikel, jedoch nicht unmöglich – und manchmal notwendig, um wieder Balance in das Arbeitsverhältnis zu bringen. Beispielsweise wenn eine Kollegin private Details über Sie an Ihren Chef weitergereicht hat und die Situation dadurch für Sie äußerst peinlich wird oder gar der totale Gesichtsverlust droht. Bei Vertrauensbrüchen dieser Art empfehlen wir vorerst eine Rückkehr zum SIE.
Auch wenn Sie sich im Nachhinein mit einer zu schnellen Annahme des DUs unwohl fühlen, lässt sie sich am nächsten Tag wieder elegant revidieren. Schaffen Sie dafür einen vertraulichen Rahmen und erklären Sie Ihrem Gesprächspartner die Situation aus Ihrer Sicht. Ihr Gesprächspartner wird es verstehen.
„Ich habe mich so sehr an das Sie gewöhnt und würde es gerne dabei belassen. Ich bin sicher, dass wir trotzdem weiterhin gut zusammenarbeiten."
Aber: Allein wegen einer Beförderung zum SIE zurückzukehren - um damit vielleicht Führungsstärke zeigen zu wollen - ist grob unhöflich und sollte strikt vermieden werden! Das plötzliche Siezen kommt einer Beleidigung gleich und wird Ihnen als Führungsschwäche ausgelegt.
Fazit: Eine Rückkehr zum SIE ist schwer. Daher: Überlegen Sie sich genau, mit wem Sie das DU pflegen möchten.
Was, wenn Sie vorübergehend zum SIE zurückkehren müssen?
Eines sollte niemals vergessen werden: Wir sind alle Menschen, keine Maschinen, begegnen uns aber auf einer beruflichen, höchst qualifizierten Ebene. Sonderfälle gehören daher zum täglichen Geschehen. Entweder ist ein Mandant in Spiel (dazu unten mehr) oder es gibt formale Gründe:
Müssen Sie beispielsweise als Personal- oder Bereichsleiter einen Mitarbeiter abmahnen oder kündigen, geschieht dies in der Schriftform. Schriftstücke dieser Art sollten im SIE formuliert sein. Wenn Sie aber mit dieser Person seit vielen Jahren verbunden sind und per DU sind, können Sie ein paar ehrliche persönliche Zeilen beifügen:
„Lieber Stefan, ich muss Dir diese Abmahnung schicken. Als Bereichsleiter gehört dies zu meinen Pflichten (Personalleiter: zu meinen Aufgaben). Auch wenn ich es nicht gerne tue!"
Ich bin Chef, ich entscheide?
Als Chef hat man die Zügel in der Hand. Ganz gleich ob Senior-Anwalt mit Team oder Assistentin mit Verantwortung für Azubis – wer eine führende Position inne hat, der sollte sich sehr gut überlegen, wen er duzt und wann auch ein ehrliches, klares SIE zu einem respektvollen, netten Miteinander führen kann.
Fakt ist: Eine Führungskraft, die nur einige im Team duzt, erweckt leicht den Eindruck einer Zweiklassengesellschaft. Natürlich ist es unmöglich, Kollegen, mit denen man lange zusammen gearbeitet hat, plötzlich zu Siezen. Besser ist es, das gesamte Team über die Herleitung des DUs zu informieren, damit diese das besser einschätzen können.
Was, wenn Mandanten im Spiel sind?
Auf einen Mandanten kann ein allzu kollegialer Umgang mitunter befremdlich und zu leger wirken. Hier empfiehlt es sich, vorübergehend auf das förmlichere SIE gegenüber der Kollegin umzusteigen. Sollte diese Situation Ihnen aber sprichwörtlich komisch vorkommen, klären Sie Ihren Mandaten darüber auf, dass es sich bei der Kollegin um die Sandkastenfreundin oder Ihre Trauzeugin handelt.
Was aber, wenn Sie in einer größeren Mandantenbesprechung nur mit einem Geschäftspartner per Du sind? Unser Rat: Wechseln Sie vorübergehend auch hier zum SIE. Idealerweise haben Sie das zuvor besprochen. Auch hier gilt: Sollte die Situation für Sie unnatürlich sein, bleiben Sie beim DU und erläutern Sie es charmant Ihren Gesprächsteilnehmern.
Und: Auch Lieferanten und Externe Dienstleister sollten Sie wie Mandanten behandeln.
Wie verhalte ich mich während und nach Betriebsfeiern?
Nach Weihnachtsfeiern, Betriebsausflügen & Co. kommt es immer wieder vor, dass Strukturen nicht mehr ganz so evident sind wie gedacht. Übermütig wurde vom Azubi bis zum Partner und vom IT-Leiter bis zur Assistentin, abteilungs- und rangübergreifend spontan das DU eingeführt. Dabei sollte jedem Mitarbeiter bewusst sein: Betriebsfeiern sind Arbeitszeit.
Unsere Empfehlung für den Tag danach: Kehren Sie beruhigt wieder zurück ins Büro und benutzen Sie die Anrede, die Sie vor den Feierlichkeiten benutzt haben.
Das Ich zählt
In Vorstellungsgesprächen – beispielsweise bei Führungspositionen – werden Kandidaten gelegentlich gefragt, wie man dazu stünde, im gesamten Unternehmen wieder flächendeckend die formelle Anrede mit dem Nachnamen einzuführen. „Es hat alles seine Vor- und Nachteile", lautete eine Antwort, die mir in Erinnerung geblieben ist. „Wichtig ist in erster Linie eine offene Thematisierung. Fragen sollten gestellt werden dürfen und die Mitarbeiter sollten sich wohl und nicht fremd fühlen – das geht mit dem DU, aber auch mit dem SIE."
Gibt es keine strikten betriebsinternen Vorgaben, so ist letztlich in allen persönlichen DU oder SIE-Differenzierungen das eigene Empfinden der allerbeste Ratgeber.